Riesiger Schwund bei Gemüsesorten
Artenvielfalt im Kleingarten
Wir haben unsere Kleingärten zum Anbau von Gemüse und Obst gepachtet, wobei wir in den Anlagen eine Vielzahl verschiedener Sorten kultivieren – in unterschiedlichsten Geschmacksrichtungen. Und bei einer abwechslungsreichen Beetgestaltung „isst“ sozusagen auch das Auge mit. Fotos: Brumm
Von Tommy Brumm, Natur- und Gartenzentrum Westsachsen der Schreberjugend
Es sind alarmierende Zahlen, denn rund 94 % aller Gemüsesorten sind bereits verschwunden. Dabei sind diese vielen alten Sorten eigentlich ein wichtiges Erbe unserer Vorfahren und dürft en nicht der Bereicherung einzelner dienen. Längst sind Pflanzen kein Allgemeingut mehr, sie sind vielmehr ein Spekulationsobjekt von Konzernen – und dies mit einem Milliardengewinn.
Diese Unternehmen konzentrieren sich darauf, nur noch ertragsreiche Sorten zu kreieren, die ihrerseits aber nicht in der Lage sind, sich selbst fortzupflanzen. Damit wird weltweit eine absolute Abhängigkeit erreicht – und so ganz nebenbei kann man die Gemüsebauern zwingen, auch die Pflanzenschutzmittel und Dünger von der gleichen Quelle zu kaufen.
Bereits 2013 wurde ein erster Versuch gestartet, selbst den Tausch alter Gemüsesorten zu unterbinden. Der Aufschrei war so groß, dass die sogenannten Pflanzentauschbörsen eben nicht untersagt wurden. Dies war jedoch nur ein Teilerfolg, da seitdem die Vermarktung von Saatgut mit finanziell hohen Hürden verbunden ist. Das Problem ist das Saatgutverkehrsgesetz, welches es sogenannten Kleinbetrieben nahezu unmöglich macht, Sorten in den Verkauf zu bringen. Damit begann das Sterben der Vielfalt.
Dieser Prozess hat bereits unumkehrbare Folgen, so existieren von einst 158 Blumenkohlsorten nur noch neun Sorten weltweit. Das hört sich für den Außenstehenden erst einmal gar nicht so schlimm an, aber es ist tatsächlich sehr schlimm!
Wir können zwar weiterhin auf bunte Regale mit Saatgut in den Baumärkten schauen, und Blumenkohl kann man ja auch zukaufen. Die Natur hatte jedoch bei den meisten Arten viele spezifische Unterarten hervorgebracht, was den Erhalt der Art bei drastischen Veränderungen der Umwelt sichert.
Die Bauern produzierten in der Vergangenheit ihr Saatgut für das nächste Jahr selbst, und durch die unterschiedlichen Anbaubedingungen entstand eine Vielzahl von Sorten. Diese Sorten sind das Kapital für die Zukunft der Menschheit, da hierdurch der Genpool immer wieder aufgefrischt werden kann.
Beim Blumenkohl kennen die Verbraucher fast nur die weißen großköpfigen Exemplare von ertragreichen Sorten (oben). Doch grüne, gelbe oder lilafarbene Exemplare sorgen nicht nur für mehr Abwechslung bei den Gemüsebeigaben, sondern auch für verschiedene Geschmacksnuancen und helfen, die Artenvielfalt zu erhalten. Fotos: M. Großmann, Rüdiger Alte/Pixelio
Bei „Tagen der offenen Tür“ in Versuchszentren und Gartenfachmärkten sowie bei Kleingärtnertagen werden die Gartenpächter zum Anbau von verschiedenen Gemüsesorten angeregt und beraten. Auch die Sortenvielfalt beim Kürbis ist enorm – doch zumeist findet man auf dem Kompost nur die „großen Dicken“, die zu Halloween Konjunktur haben. Fotos: ps
Große Saatgutkonzerne konzentrieren sich hingegen nur auf solche Sorten, die im Augenblick einen schnellen Profit bringen. Hierdurch ist eine drastische Verarmung der Artenvielfalt in weniger als einem Jahrzehnt eingetreten.
Wir können diesem Treiben leider nur bedingt entgegenwirken, aber wir können alte Gemüsesorten in unseren Gärten wieder pflanzen. Noch gibt es ausreichend Möglichkeiten, diese zu beziehen, so z.B. über die Dreschflegel GbR. Die Gruppe um Dreschflegel versucht aktuell auf 17 Höfen alte Gemüsesorten zu erhalten. Derartige Initiativen sind sicherlich den Konzernen ein Dorn im Auge, aber ein Segen für die Menschheit.
Nikolai Iwanowitsch Wawilow, ein international hoch angesehener russischer Botaniker, Genetiker und Forschungsreisender, hatte dieses Problem bereits 1920 erkannt.
Sein Bestreben war es deshalb vor genau einem Jahrhundert, die Urväter der Kulturpflanzen zu erhalten, damit diese wieder in die Kulturpflanzen eingekreuzt werden können. Aber auch er musste feststellen, dass bereits vor 100 Jahren nicht mehr alle wilden Vorfahren der Kulturpflanzen verfügbar waren. Dennoch bestand sein Lebenswerk darin, die Samen dieser Vorfahren der Kulturpflanzen zu erhalten. Seine Mitarbeiter im Allunionsinstitut für Angewandte Botanik in Leningrad waren von seiner Arbeit dermaßen überzeugt, dass diese selbst bei der Leningrader Blockade vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944 und der damit einhergehenden großen Hungersnot dieses wertvolle Saatgut nicht anrührten.
Lasst uns gemeinsam möglichst viele alte Gemüsesorten erhalten!
Gartenfreund - Sachsen aktuell
Sie möchten keine Nachrichten aus dem sächsischen Kleingartenwesen mehr verpassen?
Jetzt Gartenfreund abonnieren!
Mit einem Gartenfreund-Abo zum Vorteilspreis für Mitglieder!
Jetzt Newsletter abonnieren!
Bleiben Sie auf dem Laufenden mit unserem Newsletter direkt in Ihr Postfach!